24.02.2005 - Venturion:

„Es ist nicht viel da”

Pleite von Venturion: Spezialisten der Staatsanwaltschaft ermitteln


Wer im September vergangenen Jahres bei der Aktionärs-Hotline des Versicherungsmaklers Venturion anrief, erhielt eine unmissverständliche Antwort: „Wir gehen im November an die Börse.” Auch auf seiner Internetseite versprach das Unternehmen aus Hamm viel: Venturion sei auf dem Weg zu einem der „größten Finanzberatungsunternehmen Deutschlands”, hieß es dort. Der Weg führte Venturion jedoch nicht aufs Börsenparkett, sondern zum Amtsgericht. Im November musste das Unternehmen Insolvenz anmelden. Das Sagen haben jetzt die Staatsanwälte und die Insolvenzverwalterin. Und die stehen vor einer Mammutaufgabe.

Am kommenden Dienstag treffen sich die Gläubiger des Unternehmens bei einer Versammlung in Dortmund. Insolvenzverwalterin Petra Mork hat dafür etwa 20 000 Einladungen verschickt, auch an die nach ihrer Schätzung 16 000 bis 18 000 Aktionäre des Unternehmens, die als Gesellschafter von Venturion nicht zu den Gläubigern zählen. An dem Versicherungsmakler hatten sich zahlreiche Privatanleger beteiligt. Venturion hatte die Papiere mit dubiosen Versprechen auf hohe Gewinne nach einem Börsengang verkauft, obwohl das Unternehmen für 2003 keine testierte Bilanz vorlegen konnte und 2004 Verluste machte. Der Gesamtschaden bei der Pleite dürfte sich auf etwa 30 Millionen Euro belaufen.

Etwa 150 Anzeigen

Viele Gläubiger dürften allerdings nicht nach Dortmund kommen. In den angemieteten Saal im Amtsgericht passen gerade einmal 100 Menschen hinein, und die können sich keine großen Hoffnungen darauf machen, viel von ihrem Geld wiederzubekommen. „Es ist nicht viel da”, sagt Mork über die restlichen Vermögenswerte. Die Rechtsanwältin schließt sogar nicht aus, dass das Insolvenzverfahren „mangels Masse” eingestellt wird und die Gläubiger überhaupt nichts von ihrem Geld sehen werden.

Vor einem Problem stehen auch die Ermittler. Nach dem sich für die Staatsanwaltschaft Dortmund das Verfahren als zu groß herausstellte, kümmert sich jetzt die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität in Bochum um den Fall. Etwa 150 Anzeigen sind eingegangen. „Wir haben 12 000 Aktenordner und müssen zunächst einmal das Material sichten“, sagte ein Sprecher der Behörde.

Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) hatte gegen den früheren Vorstand von Venturion Strafanzeige wegen Kapitalanlagebetruges gestellt. Kapitalanlagebetrug wird mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Vorstand kassierte ab

Die DSW wirft der Finanzfirma vor, dass wesentliche Angaben im Verkaufsprospekt für den Vertrieb von Venturion-Aktien „unrichtig sind“. Außerdem seien die Unternehmenswerte in dem Prospekt womöglich absichtlich zu hoch dargestellt worden und die Geschäftsprognosen geschönt gewesen. Das glaubt auch der auf Kapitalanlagerecht spezialisierte Rechtsanwalt André Gerhard Morgenstern aus Jena, der etwa 350 Geschädigte mit einer Schadenssumme von 3,5 Millionen Euro vertritt. Er will den Venturion-Vorstand auf Schadensersatz verklagen und hat es dabei auf den Privatbesitz der Manager abgesehen, da bei dem Unternehmen selbst vermutlich nicht mehr viel zu holen ist. Morgenstern glaubt, dass der Vorstand verpflichtet war, eine Versicherung abzuschließen, die für Haftpflichtfälle von Vorständen und Aufsichtsräten eintritt. Ist dies nicht der Fall, müssten die Manager mit ihrem Privatvermögen für den Schaden geradestehen.

Ob die Herren, die laut dem Emissionsprospekt vom Januar 2004 insgesamt feste Bezüge in Höhe von 600 000 Euro im Jahr erhielten, zu Hause besser gewirtschaftet haben, ist nicht bekannt. Der Großaktionär und frühere Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, Adolf Eggendorf, reagierte auf eine Anfrage der Süddeutschen Zeitung nicht. Die SZ hatte frühzeitig auf die Ungereimtheiten bei dem geplanten Börsengang aufmerksam gemacht. Der Lokalzeitung in Hamm, dem Westfälischen Anzeiger, sagte Eggendorf: Er arbeite „an einem neuen Konzept“. Im Bereich Vertrieb „gibt es vieles – vom Feuerlöscher bis zu Kartoffelchips“.


Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 24.02.2005, Ausgabe-Nr. 45